Hier die neuen Parts, allerdings hab ich was geändert, also ist Liz nicht zu Hause sondern immer noch mit Annie unterwegs
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Liz schlenderte mit Annie die Einkaufsstraße entlang, doch sie gingen in kein Geschäft mehr, das Risiko war dann doch zu hoch. Es gab viele schöne Auslagen und die beiden sahen wunderbaren Schmuck und Kleider, die sie sich aber nie hätten leisten können. Doch Klamotten waren nicht das Wichtigste, das hatten sie inzwischen gelernt.
Es war schon fast dunkel, als sich Liz und Annie auf den Heimweg machten. Sie waren mitten im Stadtzentrum und sie mussten 15 Minuten zum Bus gehen, die öffentlichen Verkehrsverbindungen hier waren katastrophal. Also drehten sie um und gingen in Richtung Busstation, als sie jemand Vertrauten sahen. „Hey, da ist ja unser Großer!“, meinte Annie. „Komm, lass uns zu ihm gehen!“ Sie zerrte an Liz’ Hand, doch diese war wie erstarrt und rührte sich nicht vom Fleck. Dort drüben auf der anderen Straßenseite stand der Verursacher ihrer schlaflosen Nächte mit einem Mädchen, dass fast nichts anhatte und dazu noch so schief und laut lachte, dass man es bis hier hörte. Und er lächelte sie an, als würde er sie wirklich mögen, oder zumindest zu tun. Und allein dieser Anblick ließ Liz’ Herz rasen vor Wut, Schmerz und Eifersucht. Sie konnte sich keinen Millimeter auf die beiden zu bewegen, denn sie musste damit kämpfen, dass Annie nichts von ihrem inneren Chaos bemerkte. Sie nahm Annies Hand und zerrte sie weiter zur Busstation. „Komm, lass uns gehen...er will sicher nicht gestört werden“, murmelte sie und musste schlucken. Fast laufend zerrte sie Annie mit sich mit und durch dieses Tempo verringerte sich natürlich die Zeit zur Busstation und sie waren innerhalb von fünf Minuten dort, doch nun mussten sie noch eine Viertelstunde auf den Bus warten. Liz fühlte sich äußerst unwohl, was, wenn die beiden auch mit dem Bus fahren wollten? Das würde sie nicht ertragen! Nein, sie würde sofort losheulen. Liz seufzte und nahm eine Zigarette aus der Tasche. Der Rauch in ihren Lungen half ihr, abzuschalten und nicht an die schweren Zeiten in ihrem Leben zu denken, also dachte sie, wenn sie rauchte an praktisch gar nichts und das war entspannend.
Seit er sie verlassen hatte und sie ihr Baby verloren hatte, rauchte sie mindestens eine Schachtel in der Woche. Sie wusste, dass das nicht gut für sie war, schließlich hatte ihr das ihr Vater sehr oft mit seiner Methode klargemacht, seine Methode waren ja seine Fäuste, doch das Gefühl einfach abzuschalten war einfach zu schön, um einfach damit aufzuhören, nur weil sie dadurch eine gesündere Lunge bekam.
Der Bus kam angefahren und Liz schmiss die Kippe an den nassen Straßenrand. Sie beobachtete kurz, wie das rote Glimmen erlosch und das Papier um den Tabak immer nasser wurde, dann stieg sie mit Annie ein.
Das Fahrzeug war voll mit Leuten, einigen in schicken Anzügen und mit Aktentaschen in der Hand, die hektisch telefonierten, doch die meisten waren dunkel gekleidet und herabgekommen. So war es eben in dieser Gegend, die Leute liefen mit schwarzen Lederklamotten (Kunstleder, richtiges konnten sie sich nicht leisten), fettigen Haaren und gefühlslosen müden Gesichtern herum und gingen in Kneipen und prügelten sich. Liz beobachtete einen älteren Herrn, der einen starken Hustenanfall bekam und als er die Hand vom Mund nahm, war die Hand voller Schleim und vereinzelt auch Blut. Angewidert drehte sie sich ab, zu Annie, um sich mit ihr zu unterhalten.
„Was machst du heute Abend?“ /L/
„Arbeiten, was sonst!“ /A/
„Ach, Annie, wieso machst du das?“ /L/
„Ich bin die einzige in der Familie, die arbeiten kann und wir brauchen das Geld!“ /A/
„Annie!“
Liz schloss die Augen, manchmal war ihre beste Freundin ziemlich naiv und gutgläubig. Sie atmete tief ein, was auch nichts half, denn was sie einatmete war nur der Gestank der Leute, der Zigarettenrauch und der Alkoholgeruch, der in der Luft hang.
Der Bus hielt an, sie waren gerade mal eine Station gefahren, und die Türen öffneten sich. Es stiegen noch mehr Leute ein, obwohl auch so kaum Platz war.
Annie sah Liz an, sie hatte irgendwas.
„Komm sag’s mir!“ /A/
„Wie bitte? Was denn?“/L/
„Du weißt, was! Was dich bedrückt eben!“ /A/
„Mich bedrückt nichts!“ /L/
Damit war das Gespräch beendet, wenn Liz blockte, sollte man lieber nicht weiter nachhaken, das mussten alle ihre Freunde lernen. Sie war ein verschlossener Mensch und wer versuchte, sie zu öffnen, scheiterte. Man musste sie alles selber sagen lassen und wenn es ernst genug war, tat sie es dann meistens auch, doch bis dahin durfte man nichts Falsches machen.
Liz schaute aus dem Fenster. Sie musste sich ganz schön bemühen, denn die nasse Glasscheibe war so dreckig, dass man nur durch die Linien, die die Wassertropfen gemacht hatten eine wirklich gute Sicht hatte. Langsam versank Liz in einer anderen, in ihrer Welt.
Als sie das Brummen des Türöffners hörte, wurde sie unsanft aus dem Schlaf gerissen. Sie sah sich nach Annie um, anscheinend waren sie ja an ihrer Station, doch sie war nirgends zu finden. Und sonst war der Bus, abgesehen von dem älteren Mann der vorhin gehustet hatte, auch vollkommen leer. Sie spürte wie eine gewisse Kälte in ihr hoch kroch, wo war sie? Langsam und einigermaßen ruhig, sie wollte ja nicht hysterisch wirken und bildete sich selber auch ein, sie hätte keine Angst, stand sie auf und sah aus dem Fenster. Sie schauderte, denn über den Dächern der Stadt lag schon der Mond und es war zappenduster. Ihre Hände begannen leicht zu zittern, doch sie ließ sich nichts anmerken. Scheinbar unberührt ging sie zur Tür und wartete, dass der Busfahrer sie sah und ihr öffnete. Doch da öffnete ihr keiner. Sie ging nach vorne, um sich zu beschweren und schrie entsetzt auf: In der Kabine saß gar kein Fahrer! Sie war also am Busbahnhof mit einem hustenden Mann eingesperrt. Verzweifelt begann sie zu schluchzen, weniger aus Angst vor einer Nacht im Bus sonder eher vor ihrem Vater, der ungeheuer sauer sein würde und sie wollte nicht schon wieder geschlagen werden. Bei diesem Gedanken brannte der Schmerz von den Streifen auf ihren Schultern wieder auf, keiner wusste von dem, nicht mal Annie und sie wollte es ihr auch nie sagen.
Nun sank sie auf die Knie, dadurch riss sie eine Laufmasche in ihre Strumpfhose, und schlug die Hände vors Gesicht. Tränen flossen an ihren Wangen herunter und bald war der Rand ihres Hemdes schon ganz nass. Sie wollte nicht mehr leben....der letzte Funken Hoffnung in ihr erlosch und sie suchte sich nach etwas Spitzem um, dass sie abbrechen konnte. Sie würde allem ein Ende setzen...
Endlich hatte sie eine Glasscherbe am Boden gefunden und nahm sie in die Hände. Als sie aufstand, konnte man sehen, dass sie eine Viertelstunde am Boden gekrochen war:
Ihr Rock war an den Knien gerissen und beide Knie hatte sie blutig gescheuert, hinter sich hatte sie eine Blutspur gelassen. Kleine schwarze Steinchen hatten sich tief in die Wunde gebohrt, doch das war ihr sowieso egal. Sie hatte endlich gefunden was sie brauchte um ihrem Leid ein Ende zu setzen, keine verlorenen Kinder mehr, kein Junge der einfach unwiderstehlich war mehr und vor allem: keine Schläge mehr. Das hörte sich so wunderbar an, einfach zu schön um wahr zu sein.
Sie setzte die Ecke der Scherbe an die Stelle, an der sie zuerst ritzen würde. Gleich würde alles vorbei sein. Sie fuhr leicht über die Fläche, sie hoffte das würde reichen, doch es entstanden nur kleine Kratzer. Genervt drückte sie zu und nun bohrte sich die dreckige Scherbe in ihr Fleisch und ließ das Blut an ihrer Hand herunter rinnen. Sie betrachtete die blutige Scherbe.
„Frei.....“, dachte sie und setzte zu einem weiteren Ritzer an, doch da kam ihr der alte Mann dazwischen: „Kind, was machst du? Glaubst du damit löst du deine Probleme?“, sagte er mit rauchiger, schwacher Stimme. „WAS WISSEN SIE DENN?“, schrie Liz und drückte das Glas ganz fest in ihr Fleisch. „Oh, du weißt nicht, was ich weiß....“, murmelte der Mann.
Liz ließ die Glasscherbe für einen Moment locker, denn auf einmal sah sie wie der Mann vom Leben geprägt war: Viele Narben und Wunden, eine Menge Falten und vor allem dieser grässliche Husten. Er musste viel durchgemacht haben, sicher mehr als sie ihr ganzes Leben durchmachen würde.
Diese Gedanken wirrten in ihrem Kopf herum, während ein Bluttropfen am Boden aufkam und den Boden rot färbte.
Sie ließ sich langsam auf einen schäbigen Sitz gleich neben ihr sitzen und sah den Mann still und schweigend an. Wieso hatte er sie nicht in die Freiheit entgleiten lassen? Es war ja nicht sein Problem, er wusste nicht, was sie durchmachten musste, mit ihrem Vater, Annie...und all den anderen! Er wusste nicht, dass im Moment die roten Streifen auf ihrem Rücken brannten wie die Hölle und dass ein Kuss von vor einem halben Jahr immer noch auf ihren Lippen lag und sie belastete. Und er kannte nicht die Leere in ihr, die sich jeden Abend ausbreitete, wenn sie das Licht ausmachte.
Sie schloss die Augen und atmete tief ein, doch es brachte nichts, sie fühlte sich immer noch, als müsste sie ersticken an all ihren Problemen.
Sie öffnete die Augenlider wieder und kramte in ihrer Tasche herum, um sich eine Zigarette herauszuholen. Während immer noch Blut an ihren armen herabtropfte zog sie den Rauch tief ein und spürte, wie es sie beruhigte. Sie stieß den Rauch aus und lächelte, doch es war eher ein trauriges Lächeln, als ein Fröhliches. Was sollte sie nun tun? Einfach mit einem riesen Ritzer in der Hand nach Hause spazieren? Das konnte sie nicht. Sie würde zu Annie gehen. Niedergeschlagen von diesem ganzen Geschehen nahm sie ihre Tasche und machte die Tür mit Gewalt auf. Die kalte Nachtluft schlug ihr ins Gesicht und nun merkte sie doch den Schmerz, den die Kieselsteinchen in der Wunde am Knie ausgelöst hatten, doch sie versuchte ihn weiter zu ignorieren und sah sich nach der Straße um. Ein paar Meter weg entdeckte sie den schmalen Weg, der nur spärlich beleuchtet war. Ihre Highheels machten laute Geräusche auf dem grauen Beton. Sie fröstelte, niemand außer ihr war in der Nähe, zumindest schien es so.